Programme des Lebens und Überlebens

نویسنده

  • Claus Pias
چکیده

Der Vortrag beschäftigt sich mit einer doppelten Wendung: einerseits der Entstehung der Vorstellung, daß es ein Programm des Lebens gebe, dessen „Code“ in geheimdienstlicher Manier zu entschlüsseln wäre, andererseits der Entstehung von Verfahren, die das Überleben als Optimierungsverfahren in Code umsetzen. Der erste Teil geht dazu auf die Arbeiten von George Gamow ein, der einem irritierten James Watson aus heiterem Himmel anbot, seine lebenswissenschaftlichen Probleme auf einem MANIAC lösen zu können. Der zweite, kürzere Teil widmet sich den frühen Konzepten genetischer Algorithmen und adaptiver Systeme bei John Holland und der Operationalisierung von Unwahrscheinlichkeit. Diese beiden Beispiele realisieren verschiedene Optionen des Imports und Exports theoretischer Konzepte zwischen Computer Science und Lebenswissenschaften. Da beide Fälle im Jahrzehnt zwischen 1952 und 1962 lokalisiert sind, wird vergleichbar, in welchem wissenschaftsund zeithistorischen Kontext solche Austauschprozesse attraktiv und auf eine bestimmte Weise möglich wurden. 1 George Gamow: Code und Krieg George A. Gamows Biographie ist – wie die so vieler Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts – von außergewöhnlichen Diskontinuitäten gezeichnet [Ga70], [Fr94], [HA01]. Dies mag einer der Gründe sein, warum er als lebenswissenschaftlicher Dillettant, dem die „American Academy of Sciences“ noch nachdrücklich von einer Publikation auf diesem Gebiet abgeraten hatte [We68], einen so fundamentalen Beitrag zur modernen Genetik leisten konnte [Na04], daß Francis Crick ihm einen Ehrenplatz in deren Geschichte einräumt [Cr66] und James Watson seinen Namen gar im Titel seiner Autobiographie anführt [Wa02]. 1904 in Odessa geboren, machte Gamow eine steile Karriere auf dem jungen Gebiet der Teilchenphysik, die ihn auf die entscheidenden Konferenzen nach Göttingen, Kopenhagen und Cambridge führte, und stand mit nahezu allen namhaften Forschern seiner Zeit in engem Austausch. Nach abenteuerlich gescheiterten Fluchtversuchen gelang ihm 1933 die Emigration in die USA, wo er sich noch einige Jahre (gemeinsam mit Edward Teller) dem beta-Zerfall widmete, um sich ab 1938 vornehmlich der Astrophysik zuzuwenden. Sein clearing für militärische Forschungsprojekte erhielt er allerdings (als ehemaliger Angehöriger der sowjetischen Streitkräfte) erst 1948, wurde daraufhin Berater der „Division of High Explosives“ im Bureau of Ordnance des Navy Department und beschäftigte sich mit Fragen der Schockund Detonationswellen konventioneller Explosiva. Einem Einstieg in die Entwicklung der Wasserstoffbombe stand also nichts mehr im Wege, und das Ergebnis kommentierte er als Augenzeuge der Detonation im Bikini-Atoll mit einem schlichten „very exciting“. In seinen späteren Jahren war Gamow nicht nur als militärischer Berater und Hochschullehrer, sondern vor allem als populärwissenschaftlicher Autor tätig. Seine Bücher – insbesondere die Reihe der Abenteuer von Mr. Tompkins, eines Bankangestellten, der die Welt der Physik im Schlaf während der Dienstzeit kennenlernt – erreichten höchste Auflagen und wurden in über 15 Sprachen übersetzt. Gamow trat vor riesigen Sälen und sogar im jungen Fernsehen auf und unterhielt legendärerweise noch jede Party durch seine Scherze und Kartentricks. „Seine Vorstellung eines Longdrinks“, so erinnert sich Watson, „war ein großes, bis zum Rand mit Whisky gefülltes Glas“, und er erledigte seine Termine zwischen Barbecue, Rüstungslabor und Hörsaal gewöhnlich im weißen, mit rotem Leder ausgeschlagenen und „Leda“ getauften Mercury Convertible. Lily Kay hat in ihm daher eine (für die 50er Jahre typische) „Verkörperung [...] des militärischindustriell-akademischen Komplexes“ ausgemacht [Ka00]. In dieser Zeit schrieb Gamow einen legendären Brief an John Watson, den dieser zunächst für so wunderlich hielt, daß er sich nicht die Mühe einer Antwort machte und im Absender schlicht einen „Quatschkopf“ vermutete. Entscheidend ist die Passage auf der dritten Seite: „For example the animal will be a cat if Adenine is always followed by cytosine in the DNA chain, and the characteristics of a hering is that Guanines always appear in pairs along the chain.... This would open a very interesting possibility of theoretical research based on mathematics of combinatorix and the theory of numbers! I am not clear, though, how such a point of view would fitt with genetic experiments [...]. But I have a feeling this could be done.“ 1 Kurz gesagt (und Lily Kays Interpretation folgend): Gamow begründet überhaupt erst das Codierungsproblem und läutet damit die erste, mathematisch-genetische Phase (1953-1961) ein, die im genetischen Code eine militärische Geheimschrift zu lesen sucht, bei der die Proteinsynthese eine Art black box mit DNA-Input und Protein-Output darstellt. Diese Phase sollte mit der Einsicht enden, daß der genetische Code kein Code im kryptoanalytischen Sinne ist. Um ablesen zu können, wie naheliegend ein solcher cross-over zwischen militärisch-geheimdienstlichen Methoden und lebenswissenschaftlichen Fragestellungen zu jener Zeit war, braucht man lediglich die Ausgabe des „Scientific American“ aufzuschlagen, in der Gamow seinen Aufsatz „Information Transfer in the Living Cell“ [Ga55] veröffentlichte, um auf jeder zweiten Seite auf Werbung für Heeresgerät zu finden. Dort präsentiert Gamow etwa (strikt an Shannon orientiert) eine Tabelle, die die Übergangswahrscheinlichkeiten von Aminosäurepaaren mit den Übergangswahrscheinlichkeiten von Buchstabenpaaren in Miltons „Paradise Lost“ vergleicht. Und auch an anderer Stelle läßt er keinen Zweifel offen: „the data on protein sequences existing at that time was very meager, and the work was just as difficult as breaking a secret military code on the basis of just a a couple of short messages supplied by the spies“ [Ga54], [GY56]. 1 George Gamow an James Watson, 8. Juli 1953. Da Gamow nebenbei auch als Berater des Navy Department tätig war, sprach er folgerichtig seine Vorgesetzten darauf an, ob man diese Entschlüsselungsaufgabe nicht einfach einer Gruppe von Kryptoanalysten überantworten könne, die gerade an der Dechiffrierung japanischer Geheimcodes arbeite. Darauf kamen angeblich „drei Herren“ vorbei, um die Problemstellung entgegenzunehmen, und zwar – so jedenfalls Gamows Erinnerung – „without giving their names. [...] One of them had a beard, and I am still not sure that it was not an artificial one.“ [Ga70] Optimistisch versprach er auch, sich des Puzzles mit Hilfe des MANIAC2 in Los Alamos anzunehmen: „Bob Ledley has completed the details of automatic decoding procedure by means of sye simbolic logic equations, and I am negotiating with Los Alamos concerning puting it on Maniac. (It may take several days of continous runing!)“ 3 Und zuletzt wurde Gamow auch beim größten think tank des Kalten Krieges, der RAND Corporation, mit seinem Problem vorstellig – mit dem Ergebnis, daß „RAND people were excited about RNA problem!“ 4 Lily Kay hat die Tropen der Informationstheorie, in deren „skripturalen Technologien“ sich die Arbeit am genetischen Code abspielt, minutiös erforscht und nachgezeichnet, wie das Wissen vom Leben unter die Bedingungen von Computertechnologien gestellt wurde. Weniger akzentuiert wurde in der Wissenschaftsgeshichte bislang der umgekehrte Weg, nämlich inwiefern zur gleichen Zeit das Wissen um informatische Technologien unter die Bedingungen des Lebens gestellt wurde und die Produktivität des Austauschs sich gerade durch diese Konstellation der Wechselseitigkeit in konkreten Fällen entfalten konnte. Auch hier liefert die Arbeit Gamows zumindest einen Fingerzeig. Vielleicht liegt es nicht nur an der Unabgeschlossenheit seiner Lebenserinnerungen, sondern auch der völligen Abwesenheit lebenswissenschaftlicher Begriffe, daß Gamows Arbeit im Bereich des Computerspiels bislang nicht erforscht wurde [Ha71], [Al87]. Mit nur einem einzigen Satz verweist er darauf, daß er am „Operations Research Office“ der Johns Hopkins University einige Zeit mit „developing the theory of war games, mostly analyzing battles between tanks“ verbracht habe. Dazu entwickelte er zwischen 1950-52 probehalber ein kleines Spiel auf einem gezeichneten Spielbrett, das zunächst mit schlichten Münzen (als Panzer) gespielt wurde [Ga53], [GZ57]. Die Beschreibung in Gamows unveröffentlichten Notizen lautet wiefolgt: „The two opposing tank forces, ten units each, are originally located at the rear lines of the battlefield, and a move on each side consists in displacement of each of the tanks to one of the adjoining hexagonal fields (although not all tanks must necessarily be moved). If two opposing tanks come to adjoining white fields, a battle is announced, and its outcome is decided by tossing a coin or a die. If, as may happen, a moving tank comes in contact with two enemy tanks simultaneously, it must ‘shoot it out’ first with one of the tanks and, if victorious, with the other. (More realistic rules can be introduced in that case.) If a tank on a white field is in contact with an enemy tank in a crosshatched field (and considered concealed), the first tank is always killed (or given a much higher probability of being killed in the dice-tossing process). If both tanks are in the woods, a battle is announced only if one of them moves into the field occupied by the other (half 2 In Gamows Auflösung des Akronyms: Metropolis And von Neumann Invent Awful Contraption. 3 George Gamow an James Watson, 28. November 1954. 4 George Gamow an Lawrence Blinks, 1. Februar 1955, handschriftliche Randnotiz. the normal visibility distance), and the outcome is again decided by the toss of a die. The objective of the game may be the destruction of a maximum number of enemy tanks with least losses to one’s own forces, the destruction of some objective located at the rear line of the enemy forces, or still some other purpose.“ [Ha71] Abbildung 1: Gamows „Tank Battle“, etwa 1952 Dieser manuelle Betrieb des Spiels, der zu Scherzen über ein Vergnügen für Kaffeepausen anregte [P53], war jedoch nur für Demonstrationsund Entwicklungszwecke gedacht, denn letztlich ging es um die Erforschung und Evaluation von Überlebens-Strategien, die nicht mehr in den Händen menschlicher Spieler liegen sollten. So konnte man beispielsweise die Strategien von „massing all tanks“ oder „dispersing all tanks“ gegeneinander antreten lassen, die Elemente der einzelnen Verbände also eher zusammen oder getrennt marschieren lassen. Und dieses ‚eher’ der Bewegung wurde durch den gezielten Einsatz von Zufallszahlen gesteuert: Bei einer dispersiven Strategie entscheidet der Computer bei jeder Bewegung jedes einzelnen Panzers durch Monte Carlo-Methoden, ob dieser Panzer nun bei den übrigen bleibt oder sich entfernt, wobei die Wahrscheinlichkeit für „entfernen“ etwas höher gewichtet wird. Viele andere Faktoren sind dabei denkbar, wie etwa das Abwägen zwischen stärkerer oder leichterer Panzerung und damit zwischen geringerer Verletzlichkeit und höherer Geschwindigkeit. Der Reiz dieses Spiels liegt also in der experimentellen Kopplung von Wiederholung und Zufall. Sein Ziel ist, den Computer möglichst viele Spiele spielen zu lassen und anschließend deren Protokolle auszuwerten. An den so gewonnenen Informationen zu Spieloder Schlachtausgängen interessieren vor allem die Spiele mit ‚extremen’ Enden, also katastrophalen Niederlagen oder glorreichen Siegen. Es sind gewissermaßen Wunder und Katastrophen, die hier simuliert und systematisch ausgewertet werden sollen. Und von der Analyse dieser ‚interessanten’ Spieldurchläufe erhoffte man sich Aufschlüsse über erfolgreiche taktische Konzepte. Dabei ist der Computer als Medium unverzichtbar, denn kein Mensch könnte mehrere hundert Spiele pro Stunde spielen, und schon gar nicht könnte ein menschlicher Spieler sich wirklich zufällig verhalten. In der Koppelung von Wiederholung und Zufall, im tausendfach variierten Bespielen eines immergleichen Feldes, sollte ein Wissen entstehen, das die Spielbeobachter überrascht.5 Zwei Dinge lassen sich bereits hier festhalten. Erstens, daß das Leben (und mehr noch das Überleben) von Panzerpopulationen mittels einer experimentellen Verschänkung von sehr viel Redundanz und sehr wenig (dafür aber systematisch eingesetztem) Zufall untersucht wird, deren Interesse sich auf unerwartete Ereignisse in komplexen Systemen (d.h. überraschende Spielausgänge) richtet.6 Damit sind, ohne daß dies bei Gamow explizit würde, bereits zentrale Mechanismen der Evolution aufgerufen (Redundanz, Zufall, „blindes“ Experimentieren des Prozesses). Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß andere Grundkonzepte ausgespart bleiben: So gibt es etwa keine generationenübergreifende Information (die Panzer vererben nicht) und damit auch keine Adaptation (das Setup des Programms wird jedesmal neu gemacht, aber es gibt keine Meta-Ebene, auf der Fitness unter verschiedenen Bedingungen evaluiert und die Parameter für den nächsten Durchlauf entsprechend verändert werden). Zweitens darf man mit einiger Berechtigung nicht nur vom „Buch des Lebens“ [Ka00], sondern vom „Spiel des Lebens“ sprechen, wie dies später Eigen und Winkler [EW75] programmatisch getan haben. Es steht vielmehr zu vermuten, daß Spiel, Kryptrographie und Genetik gemeinsam ein „Denkbild“ formen. Dafür spricht zusätzlich, daß der ‚Partylöwe’ Gamow andere Gäste gerne mit Kartentricks unterhielt und diese Spielkarten für ihn ein Medium darstellen, in dem genetische Überlegungen angestellt werden können. Dabei werden Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin einfach in die 4 Farben Herz, Karo, Pik und Kreuz übersetzt. Um damit wieder auf 20 Aminosäuren zu kommen, braucht man nur ein reduziertes Spiel, das ausschließlich aus Assen besteht, die dann – wie bei einer Patience – nebeneinander aufgedeckt werden. (Abb. 2) Aminosäuren werden durch Triplets gebildet, nach Gamow also eine Art „reduced poker game“ [Ga55] mit drei Karten, deren Farben genau die benötigten 20 Kombinationsmöglichkeiten liefern (4 Möglichkeiten zum Flush + 12 für Paare + 4 für verschiedene Karten = 20). Spielkarten tauchen bei Gamow bis in die 1960er Jahre hinein immer wieder auf, wie etwa in einem DNS-Modell auf der Weltausstellung in Seattle im Jahre 1962 [Ga63]. 5 Aus Gamows Ansatz sind die Kriegsspiele der „Carmonette“-Reihe (Computerized Simulation of Ground Combat Operation) hervorgegangen, die zwischen 1958-1974 bei der Research Analysis Corporation betrieben

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تاریخ انتشار 2009